„Nehmt die Aufgabe, wie ihr sie verstanden habt.“

Nicole Amsbeck

proben, proben, proben!

Ein typischer Probentag beginnt um 10 Uhr, umgezogen (also in Sportkleidung) und arbeitsbereit auf der Arbeitsfläche. Wir proben 8 Stunden am Tag – natürlich mit einer guten Mittagspause. So ein Probentag ist gefüllt mit einem ausgiebigen Warm Up, choreographischer Arbeit, Textarbeit und Arbeit am Stück. Und so sieht das dann zum Beispiel aus:

eine choreographie tanzen

Von Carina Titze

Wenn ich tanze, fühle ich mich frei. Durchs Tanzen kann ich meine Gefühle und Emotionen ausdrücken. Die Choreographie “Waves” war am Anfang nur ein “ganz normaler” Tanz für mich, doch je länger wir daran gearbeitet und gefeilt haben, desto wichtiger wurde er für mich.

In der Recherchephase ist das Grundgerüst der Bewegungsabfolge entstanden, welches wir uns Stück für Stück angeeignet haben. Somit hat jede*r von uns die Choreographie mit seiner*ihrer ganz eigenen Qualität getanzt. Dies hat sich immer weiter entwickelt, bis schließlich die Recherchephase abgeschlossen war. Dann fingen die Proben für STAYING ALIVE an, wobei der Beginn des Tanzes nur leicht verändert wurde. Das letzte Drittel allerdings war völlig unklar. Nach einigen Proben hat Marielle Amsbeck (Choreographin) gemeinsam mit uns überlegt, was funktionieren könnte und was nicht. Ich mag es immer wieder neue Bewegungen und Abläufe auszuprobieren, da sich meistens von selbst ergibt, was als nächstes kommt. Weil ich mich in die Choreographie hineinfühle und somit gar nicht mehr viel denken muss, sondern einfach drauf los tanzen kann. So haben wir das Ende gemeinsam gefunden, bis schließlich die Choreographie feststand. Doch fertig war sie noch lange nicht. Es folgten viel Feinschliff, Ausarbeitung und sauberes Austanzen wichtiger Details. Mir persönlich hat es unglaublich viel Spaß gemacht, daran zu arbeiten und zu tüfteln, da es immer etwas gab, was ich noch verbessern konnte. Mit jedem Mal Tanzen wurde ich ein Stückchen genauer. Außerdem habe ich gemerkt, dass sich die Choreographie nach einiger Zeit in den Körper “eingeschrieben” hat, ebenso wie die Details und der Ausdruck. Während ich die Choreographie tanze, verspüre ich ein Gefühl von Unermüdlichkeit, das Verlangen etwas zu schaffen, was eigentlich unmöglich scheint. Ein gewisses, verzweifeltes “Suchen”, nach einer Lösung.

„Ich mag es immer wieder neue Bewegungen und Abläufe auszuprobieren (…)“

„Wir geben euch etwas, eine Idee, ihr setzt sie um und gebt sie uns dann zurück – und immer so weiter.“

Generationengespräch über die Arbeit

Was sind die Grundlagen unserer Zusammenarbeit und gibt es darin eine Art „Generationenvertrag“? Wir haben uns gemeinsam über unsere künstlerische Arbeit unterhalten. Hier ein kleiner Einblick in unsere Gespräche.

Wie würdet ihr unsere Zusammenarbeit beschreiben?

Carina: Also, dass wir MIT euch arbeiten. Das ihr nicht vorgebt “Das und das, macht ihr so und so”. Und auch das Stück war nicht vorher vorgegeben. Klar, ihr sagt: “Das war cool, mach das nochmal”, ihr gebt uns Aufgaben, ihr setzt die Dinge zusammen, ihr seid Regie und Choreographin. Aber ihr seid auch Spielerinnen. Wir haben alle zusammen STAYING ALIVE gebaut und jede*r hat einen Teil zum Stück beigetragen.

Das wir, Nicole und Marielle, im Prozess auch Mitspielerinnen geworden sind. Wir war für euch dieser Wechsel?

Merlin: Also ich habe ihn gar nicht so richtig bemerkt. Weil ihr ja sowieso schon viel mitgemacht habt. Man bemerkt, da ist auf einmal noch jemand hinter einem und tanzt auch mit, aber du hast ja sowieso mit uns geübt. Ich fand es war kein so großer Unterschied. Es ist cool, dass wir jetzt nicht nur zu dritt, sondern zu fünft auf der Bühne sind. Besonders in den Choreographien, da können wir den Raum nun ganz anders ausfüllen.

Hat es denn etwas an unserer Arbeit verändert?

Carina: Ja, weil ihr nicht immer gucken konntet. Ihr habt uns auch vorher schon Fragen zum das Stück gestellt und wir haben dramaturgisch mitgeredet. Aber jetzt haben auch wir manchmal „draußen“ gesessen und Dinge notiert und als Feedback zurückgegeben. Ich fand das cool, mal aus eurer Sicht zu gucken. Zu sehen, wie das für euch ist, was ihr sonst seht, zu sehen, was die Dinge für eine Wirkung haben. Das merkt man ja oft, wenn man auf der Bühne steht, nicht so sehr.

Wir haben bereits öfter über den Begriff des Generationenvertrags gesprochen. Gibt es zwischen uns eine eigene Art „Vertrag“?

Annemarie: Ja. Unser Vertrag ist so: Wir sind da und arbeiten und versuchen in der Probe unseren Teil zu tun und ihr macht das Gleiche. Wir lernen Texte, probieren Sachen, finden Sätze heraus und dafür bereitet ihr die Proben vor. Wir alle machen unsere “Hausaufgaben”. Ihr seid auch mal länger wach und versucht neue Texte zu bilden und das, was wir sagen, noch einmal neu aufzufassen und uns dann sozusagen wiederzugeben. Das heißt, wir geben euch etwas, eine Idee, ihr setzt sie um und gebt sie uns dann zurück — und immer so weiter. Wir erwarten von euch etwas und ihr erwartet von uns etwas. 

unsere Arbeitsprinzipien

Von Merlin krieger

Bei uns baut vieles aufeinander auf. Wir fangen klein, mit Dingen wie Spielen oder Übungen an. Für uns Jugendliche ging es darin anfangs vor allem um Spaß, wobei wir nebenbei aber auch indirekt Prinzipien, wie den peripheren Blick etc. lernen, die wir dann in anderen Momenten anwenden können.

Auf der Arbeitsfläche sind wir Spieler und Spielerinnen und Freund*innen. (Die Arbeitsfläche ist die Bühne/Proberaum.) Das ist ganz wichtig, weil es ein Unterschied ist, ob ich, Merlin privat oder als Spieler bin. Wir sind außerdem “Freund*innen”, das heißt wir sind stolz auf die Mitspieler*innen, egal wie lange jede*r für seine Aufgabe braucht oder wie er/sie sich dabei anstellt. Wir unterstützen und retten uns, auch wenn wir privat vielleicht mal Zoff haben.

Wir nehmen uns immer gegenseitig auf der Arbeitsfläche wahr, sodass wir aufeinander reagieren können. Dafür braucht man den peripheren Blick. Diesen sollte ich zum ersten Mal beim Kennenlern-Workshop für das Stück “Herr der Diebe” anwenden. Aber was ist das denn eigentlich? Mit folgender Übung lässt er sich gut erklären: Wir stehen in einer Reihe nebeneinander und gucken geradeaus. Nun müssen wir gemeinsam gleichzeitig loslaufen ohne zu sprechen, egal was wir machen, ob kleine oder auch große Bewegungen, bei dieser Übung müssen wir sie immer gleichzeitig und möglichst genau wie andere Mitspieler*innen machen. Wenn man dies immer wieder probiert, wird man immer geübter darin, die anderen im Blick zu behalten. Wir sind so immer miteinander verknüpft. Das nennen wir dann auch „einen Faden zwischen uns spinnen„. Das merke ich besonders, wenn wir tanzen. Wir bekommen eine Musik und es heißt „jetzt besonders wild“ und “lasst euch von den Impulsen der anderen anstecken” und zack, haben wir neue schöne, besondere, verrückte Momente, die wir in Choreos im Theaterstück einbauen können.  Jetzt fragt ihr euch  womöglich, wie soll man sich das so schnell merken? – ganz einfach (oder eher nicht so).  

“Aktiviert euer drittes Auge!“. Das dritte Auge merkt sich im Tun, was man macht und wie. So können wir Dinge Revue passieren lassen und merken uns oft auch, was die anderen gemacht haben, damit wir sie beim Erinnern unterstützen können. Sonst fällt es einem schwer etwas zu wiederholen oder eine Bewegung fällt einem gar nicht mehr ein, welche eigentlich ultra cool und ausdrucksstark war. Wenn ich mein drittes Auge aktiviere, bedeutet es für mich zu merken, was gut, vielleicht aber auch nicht so gut geklappt hat. 

Nachzudenken, zu machen, sich zu konzentrieren und gleichzeitig noch das dritte Auge zu aktivieren, ist manchmal echt schwer. Nicht aufzugeben ist dann wichtig! Wenn ich mal nicht weiter weiß, dann probiere ich es nochmal oder ich gucke bei anderen ab und klaue mir etwas. Klauen von anderen? Klauen? Stehlen? Ja, sozusagen. Ich übernehme einfach Bewegungen, Ideen und  Dinge von anderen, die ich cool finde. Ansonsten improvisiere ich. Oft denkt man “wenn ich jetzt improvisiere, fällt das doch voll auf und sieht echt blöd aus”. Aber das ist meistens gar nicht so. Oft fällt es nicht mal jemandem auf. Man darf nur “nicht aussteigen!” Man muss einfach weiter dran bleiben und ernsthaft versuchen, die Aufgabe zu erfüllen.

Realtime Composition mit Isadora

Von Nicole Amsbeck

ISADORA ist ein sogenanntes realtime composition Tool. Also ein Programm, mit dem sich unter anderem Bilder und Videos in Echtzeit mit Dingen und Körpern auf der Bühne verbinden lassen. Hier oben im Foto könnt ihr es vielleicht erkennen. Merlin auf der Bühne hat ein weißes Shirt an, ohne Aufschrift. Und auf der Leinwand hat er ein Bild auf dem weißen Pullover. Magic!

ISADORA, entwickelt von Mark Coniglio, ist eine Software, die für Künstler*innen wie gemacht ist.  Mittels einer grafischen Programmieroberfläche lassen sich Videos und Audio-Cues für Lichtdesign u.A., in Echtzeit manipulieren und mit der analogen Bühne verschneiden. Auf einem der Bilder hier ist zu sehen, wie das geöffnete Programm aussieht. Es ist eine sehr detailreiche Arbeit, denn unter anderem müssen je nach den Lichtverhältnissen Einstellungen immer wieder live angepasst werden. In STAYING ALIVE spielen wir vor allem mit dem Effekt, Videos und Bilder mit weißen Flächen wie zum Beispiel T-Shirts oder auch auf der Haut sichtbar zu machen. Genau dabei kommt es ganz wesentlich auf die Lichtverhältnisse und auch den Winkel des Lichteinfalls an. Alle und jeder müssen dann an der richtigen Position stehen, damit es klappt. 

Mit STAYING ALIVE erkunden wir die Technik als ästhetisches Mittel und Möglichkeit Zuschauer*innen digital und im physischen Raum in die Inszenierung zu involvieren. Wir, als Theaterpädagogisches Zentrum wollen damit den Mut wecken, sich mit neuen Medien in der Praxis zu beschäftigen, als auch ihre Möglichkeiten ästhetisch und spielerisch auf die Bühne  zu bringen. 

Eine zentrale Frage, die uns dabei leitet, ist: Wie lassen sich Technologien in einem künstlerischen Möglichkeitsraum sinnlich erfahrbar machen und welchen ästhetischen Mehrwert können diese generieren? Das Erkunden hat erst begonnen.

Fotoshooting am See

8. Oktober 2022, Dieksee Lingen, Am Anfang Sonnig, Wassertemperatur: ziemlich kalt.

Eigentlich wollten wir am See nur ein paar Bilder aufnehmen wie, Momente aus der Choreographie und Portraits. Aber dann sind uns immer mehr Ideen gekommen. Sand und Wasser bieten so viele verrückte Möglichkeiten… ein bisschen kalt war es allerdings schon.

Im Oktober ergänzte Karla Kracht unser Team. Für STAYING ALIVE entwarf und gestaltete sie zwei Animationsfilme. Etliche Stunden verbrachte sie damit die Figuren zu zeichnen, in ihr Videoprogramm einzufügen und schließlich in Bewegung zu bringen. Dabei kam sie zwischendurch mit ungewöhnlichen Fragen zum Ensemble, zum Beispiel: „Wie läuft ein Pinguin? Haben Pinguine Knie?“

wie laufen pinguine?

Dieses Projekt wurde gefördert von der Emsländischen Sparkassenstiftung und dem Landesverband für Theaterpädagogik Niedersachsen.